Der Brad Pitt in uns

Wir mussten es aus der „Gala“ erfahren, und ohne Beweisfoto hätten wir es auch nicht geglaubt: Schauspieler des Theater Basel schaffen es bis nach Hollywood! Und zwar nehmen sie gleich den direkten Weg in die Unsterblichkeit des Hochglanzes, den an der Seite von Angelina Jolie. Die scheint ein bisschen verwirrt zu sein: Brad Pitt sieht plötzlich viel besser aus! Die einen oder anderen werden erkennen, warum: Der Mann an ihrer Seite trägt – je nach Foto – auf einmal die Gesichtszüge der Ensemble-Mitglieder Lorenz Nufer (l.) und Bastian Heidenreich (r.).

Doch wer von beiden ist nun der wahre Brad Pitt? Thomas Vetter, Informatiker an der Universität Basel, Gast der zweiten Folge von „Zuckerwelten – Theatrale Simulation wissenschaftlicher Theorie“ am Theater Basel und unser heimlicher Paparazzi, macht die Antwort einfach: Ein Stückchen Brad Pitt steckt in jedem und jeder von uns. Brad Pitt, das ist nichts anderes als ein am Computer reproduzierbarer Algorithmus, den man in jedes beliebige Gesicht hineinrechnen kann.

Aber auch wenn jetzt mit dem neuen Glanz von Bastian Heidenreich und Lorenz Nufer die Premierenfeiern am Theater ein wenig glamouröser und die Zuschauer im Schnitt ein wenig jünger und weiblicher werden sollten, wäre es doch traurig, wenn die beiden von nun an auch gleich denken, gleich reden und gleich fühlen würden wie Brad Pitt. In solch harmlosen Gesichtermanipulationen am Computer schwingt nämlich nicht nur die Problematik der künstlichen Reproduzierbarkeit von Kunst, sondern auch vom Menschen, seinen Emotionen und seinen Denk- und Handlungsfähigkeiten mit.

Künstlerintelligenz oder Künstliche Intelligenz?

Für viele mögen Andy Warhols Ansichten in diesem Zusammenhang wie ein Sakrileg klingen:

„Jemand hat gesagt, Brecht hätte gewollt, dass jedermann gleich denke. Ich möchte, dass jedermann gleich denkt. Aber Brecht wollte es sozusagen durch den Kommunismus. Russland tut es unter Regierungseinwirkung. Hier geschieht es ganz von selbst, ohne eine strenge Regierung; wenn es also ohne Bemühung funktioniert, warum kann dann nicht gehen, ohne dass man Kommunist ist? Jedermann sieht gleich aus und handelt gleich, und wir machen immer weitere Fortschritte auf diesem Weg. Ich glaube, dass jeder eine Maschine sein sollte. Ich glaube, dass jeder wie jedermann handeln sollte. (…)

Der Grund, warum ich in dieser Art male, ist, dass ich eine Maschine sein möchte, und ich habe das Gefühl, dass, was immer ich tue und maschinenähnlich tue, dem entspricht, was ich tun möchte. (…)

Es spielt keine Rolle, was man macht. Jedermann fährt ganz einfach fort, dasselbe zu denken, und jedes Jahr wird es ähnlicher. Die am meisten von der Individualität reden, sind eben diejenigen, die am meisten gegen die Abweichung protestieren, und in ein paar Jahren mag es umgekehrt sein. Eines Tages wird jeder einfach das denken, was er denken möchte, und dann wird wahrscheinlich jeder dasselbe denken; das scheint es mir zu sein, was kommen wird.“

Aus: Andy Warhol, Interview, erschienen in Art News 62/7, 1963.

Ja, wie viel Freiheit liegt tatsächlich in der heute so hoch gewerteten Individualität des Menschen und des menschlichen Tuns? Ist das Streben nach Originalität und einem eigenen Stil nicht vielmehr ein Terror der Zeit und ein beschränkendes Korsett? Befreit sich umgekehrt der Mensch von sich selber, wenn er berechenbar wird? Wir kommen als Original zur Welt und sterben als Kopie, hat Edward Young gesagt, und in Andy Warhols Perspektive ist das kein Rückschritt, sondern ein Fortschritt, keine Abkehr, sondern eine Ankunft beim Menschen.

Ob der Mensch wirklich zur Maschine taugt und wie viel Freiheit in seiner Berechenbarkeit liegen könnte – das sind Fragen für die Zukunft, aber auch schon für die Gegenwart.

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