100% Pollyester

Nicht, dass lange Beine, schwarze Haare und rote Lippen ein Kriterium für einen guten Cowboy sind. Doch Pollyester alias Polly Lapkovskaja ist der Cowboy mit den definitiv längsten Beinen der Welt, Lippen roter als die runde Mitte einer Lucky Strike-Packung und einem musikalischen Talent, das die üblichen drei Basisakkorde der Country-Musik bei Weitem überschreitet. Die Münchner Sängerin und Performance-Künstlerin könnte definitiv jeden Lonely Cowboy dazu zu bringen, seine Prärie-Einsamkeit aufzugeben, würde sie nicht zurzeit in Basel auf der Bühne stehen.

In Peter Kastenmüllers Inszenierung von „Jenseits von Eden“ bringt sie es zumindest bis zum vereidigten Hilfssheriff an der Seite der Berliner Volksbühnen-Legende Astrid Meyerfeldt und formiert mit ihr das weibliche Gegenabziehbild von „Dick & Doof“: „Slim & Clever“. Von ihr stammt aber auch der gesamte Soundtrack der Inszenierung: Pollyesters wummernde Bassläufe untermalen die Bruderkriege und Familiengeheimnisse in ihrer ganzen Schwärze, zu ihren Mundharmonikaklängen findet Samuel Hamiltons Wünschelrute das Wasser (bzw. den Whiskey) doppelt so schnell, und der eigens für Basel komponierte Song „Sparks“ öffnet über der grossen Amerikasaga ein flackerndes Universum.

Die Sängerin und Performancekünstlerin ist wohl auch der Cowboy mit den östlichsten Wurzeln: Pollyester heisst eigentlich Polly und noch eigentlicher Polina Lapkovskaja und stammt aus Minsk. Seit sie 11 ist, lebt sie in Deutschland. In München hat sie Jazz-Kontrabass studiert, und seit vielen Jahren ist sie prägende Kraft der Münchner Subkultur. Sie komponiert, legt als DJ auf, spielt in mehr Bands, als ihre Lederjacke Fransen hat (Beweis: Pollyester-Band, Salewski & Band, Kamerakino, Munk) und ist Mitorganisatorin der Münchner Party- und Performance-Reihe „Zombocombo“, deren Abende stets in wilden Kostümschlachten enden.

Im letzten Jahr erfand Polly für München das „Pollyester Parking Lot“, einen inszenierten Schrottplatz und phantastischer Kunstort für Parties und Konzerte. Und in diesem Frühling erscheint ihr erstes Soloalbum. So setzen sich 100 Prozent Pollyester zusammen.

Wenn also Astrid Meyerfeldt als Sheriff John Europe den Anfang von Steinbecks Geschichte mit „Ganz schön clever, die Jungs aus dem Osten“ kommentiert, meint sie zwar in erster Linie die der Kalifornitis (O-Ton Peter Kastenmüller) anheim gefallenen Siedler aus dem Osten der USA, verweist aber als Ostdeutsche immer auch ironisch auf  Polly und sich selbst – und gleichzeitig auf das dem amerikanischen Traum verfallene Europa, East of America. Warum ist aber der Osten, auch wenn Osten nie gleich Osten ist, die weniger taugliche Utopie als der Westen, zumindest aus europäischer Perspektive gedacht? Der Osten, egal welcher, taugt nicht ganz so gut zum Sehnsuchtsort wie der Westen, und das hat nicht nur kulturelle oder sicherheitspolitische Gründe, denn das Potential von Yoga, Grüntee, Akupunktur und Buddhismus scheint die westliche Welt doch erheblich zu verbessern. Was die Utopien betrifft, hat die Globalisierung bis jetzt erst eine Richtung. Doch von der Chinesischen Glückversprechung wird – jenseits der Glückkekse – noch zu reden sein.

„Jenseits von Eden“ nach dem Roman von John Steinbeck, die nächsten Vorstellungen auf der Grossen Bühne am 23./24. Februar und 1., 3. & 6. März 2011, jeweils 19:30h!

Und noch ein einzelnes Prozent Pollyester in motion:

(Pollyester: German Love Letter, aus „Pollyester Parking Lot“ 2010)

Comments
3 Responses to “100% Pollyester”
  1. LiLu sagt:

    Ja, die Soundtrack von Jenseits von Eden hat mir sehr gut gefallen! Nun lässt mich jedoch nicht in Ruh, dass ich einfach nicht darauf komme, welchen Song Pollyester zu Beginn der zweiten Hälfte im Auge sitzend singt. Wie heisst denn der Song und von wem ist er??

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