Gegen bühnenfreie Theater und kartoffelfreie Pommes

„The show must go on“ – zehn Jahre ist es her, seit dieser Schriftzug flankiert von wild züngelnden Teufelsflammen von der Fassade des Hamburger Schauspielhauses leuchtete und noch nicht so sehr ein Statement, sondern vielmehr nur ein Stücktitel war. Doch manchmal ist die Vergangenheit eben schneller als die Gegenwart. Denn damals,  im Frühherbst 2000, war alles noch Spiel, ging gerade alles erst los:  Tom Stromberg trat seine neue Intendanz an und Jerôme Bel provozierte mit seiner Eröffnungschoreografie mit dem Freddie-Mercury-Evergreen-Titel die Stadt. Nie hätte eine Wiederaufnahme dieses Stücks näher gelegen als heute, wo die künstlerische Zukunft dieses grossen Theaters auf dem Spiel steht.

Das Schauspiel Theater Basel möchte dem Schauspielhaus Hamburg seine Solidarität und Unterstützung im Geiste aussprechen – denn diese Etat-Kürzungen betreffen alle Theaterschaffenden. Sie laufen Gefahr, unter Politikern ansteckend zu werden wie ein Virus und ihr Handeln nachhaltig zu infizieren. Wir sollten gemeinsam dagegen angehen, bevor das grosse Theatersterben einsetzt.

Die Schauspieldramaturgie des Theater Basel hat heute einen Offenen Brief an den Hamburger Bürgermeister Christoph Ahlhaus und Kultursenator Reinhard Stuth verschickt:

Basel, den 4.10.2010

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Ahlhaus,

Sehr geehrter Herr Senator Stuth,

Wir – das Schauspiel des Theater Basel – haben Friedrich Schirmers Rücktritt als Intendant des Hamburger Schauspielhauses mit grossem Respekt verfolgt. Vor dem Hintergrund der weiteren Sparbeschlüsse des Hamburger Senates, die das Schauspielhaus in seiner Existenz bedrohen, gilt unsere Solidarität allen Mitarbeitern des Hamburger Schauspielhauses.

Nach Verkündigung des Rücktrittes hiess es auch bei vielen Kulturschaffenden, Friedrich Schirmers Rücktritt sei nicht politisch motiviert, sondern habe mit «künstlerischen Misserfolgen» zu tun.  Künstlerischer Erfolg oder Misserfolg spielt allerdings in den finanz- und kulturpolitischen Entscheidungen über die Etats der Theater in den letzten zwei Jahrzehnten keine Rolle: jedenfalls ist uns kein Beispiel bekannt, bei dem Aufgrund eines Erfolges der Etat substanziell erhöht worden wäre.

Wir sehen in Friedrich Schirmers Rücktritt ein klares Zeichen, das Sparen an der Substanz eines Theaters nicht länger mitzutragen. Denn der theaterpolitische «Normalfall» ist: Es findet sich immer ein Intendant, der verspricht, mit noch geringeren künstlerischen Etats «das selbe gute Theater» zu machen.  Jeder «ehrliche Kaufmann» würde dagegen sagen: zwar kann man bei einem Schiff durchaus Bug, Segel und Maschine einsparen, nur handelt es sich dann eben nicht mehr um ein Schiff. Dass Friedrich Schirmers Rücktritt zu weiteren Sparmassnahmen führen könnte, ist bedauerlich, schmälert aber die Bedeutung dessen nicht, dass da einer «Stop» gesagt hat.

Der «ehrliche Kaufmann» würde auch klar benennen, worum es sich bei den weiteren Sparbeschlüsse von 1,2 Millionen Euro ab nächster Saison handelt: Um die «Abwicklung» des grössten Sprechtheaters in Deutschland. Jeder, der den Hamburger Bürgern verspricht, mit diesem Etat «das selbe gute Theater» zu machen, betrügt sie in Wirklichkeit um ihr Theater als Repertoire- und Ensemble-Theater. Durch die Kürzungen wird das deutsche Schauspielhaus Hamburg zu einer Bibliothek ohne Bücher (von elektronischen ganz zu schweigen), zu einem Schiff ohne Maschine oder Segel, zu kartoffelfreien Pommes Frites. In anderen Kontexten würde Ihre Politik «gezielte Irreführung» genannt werden, im ökonomischen Kontext: Desinvestition bis zum Substanzverlust.

Das Schauspielhaus Hamburg hat sich über 60 Jahre hinweg den Ruf eines der wichtigsten deutschsprachigen Sprechtheater erarbeitet. Die kulturpolitische Planlosigkeit Ihrer Ankündigung weiterer Kürzungen erstaunt uns. Jahrzehntelange Arbeit wird zerstört. In den vergangenen Jahren haben leider bereits mehrere Städte vorgemacht, wie leichtfertig man ein Haus von lokaler wie überregionaler Bedeutung durch kaputtsparen entkernen kann.

Ihre Entscheidung wird die gesamte Theaterlandschaft im deutschsprachigen Raum verändern, die von grossen, an Erstklassigkeit ausgerichteten Häusern dann nurmehr spärlich besiedelt ist.

Mit freundlichen Grüssen aus der Schweiz

Das Schauspiel des Theater Basel

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